Eclipse 1999
Eclipse 1999
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11.08.1999

Eclipse 1999
11.08.1999

Jetzt verstehen wir, warum die Sonnenfinsternis früher Angst und Schrecken auslöste: Gerade schien die Sonne noch wie gewohnt, jetzt steht eine schwarze Scheibe in einem leuchtenden Kranz am dunklen Himmel - irgendwie unheimlich.

Dass sich der Kurztrip nach Frankreich lohnen würde, blieb aber buchstäblich bis zur letzten Sekunde ungewiss:

Gegen 3 Uhr morgens brechen wir in Haltern auf, fahren über Holland und Belgien in Richtung Noyon. Dort, so prophezeien die NASA-Tabellen und die Wettervorhersage von France Metéo aus dem Internet, wird die Totalität besonders lange dauern und die Wolkendecke löchrig genug sein. Als wir gegen 8 Uhr morgens die Autobahn verlassen, kann davon jedoch keine Rede sein: Es regnet, eine geschlossene Wolkendecke hängt dicht über uns.

Auf den dutzenden kleinen Straßen zwischen den endlosen Feldern verliert sich der Fahrzeugstrom von der Autobahn zum Glück schnell. Am Straßenrand und auf Feldwegen sehen wir immer wieder Autos und Zelte von Sonnenguckern, die hier übernachtet haben - hauptsächlich französische, holländische und belgische Kennzeichen, keine deutschen. Auch wir halten, holen etwas Schlaf nach und warten auf Wetterbesserung - allerdings ohne große Hoffnung, denn von Norden treibt eine Regenfront nach der anderen über uns hinweg.

Eine Stunde vor dem Beginn der Abdeckung können wir die Sonne nicht einmal erahnen. Am westlichen Horizont zeigt sich jedoch ein blaues Wolkenloch. Uns packt das "Jagdfieber", über Nebenstraßen düsen wir nach Westen. Einer fährt, drei navigieren: In welcher Richtung liegt das Wolkenloch? Wo können wir abbiegen? Entfernen wir uns nicht zu weit vom Zentrum der Kernzone?

An einem Feldweg beim Dorf Auchy-la-Montagne halten wir schließlich um 11.05 Uhr, pünktlich zum ersten Kontakt: Durch die schnell hervorgekramte Schutzbrille sehen wir die Sonnenscheibe mit einer kleinen schwarzen "Delle" am rechten oberen Rand, die rasch größer wird.

Der Himmel ist klar, doch immer wieder ziehen dicke Wolken vor der Sonne vorbei, die uns um die richtige Sicht zur richtigen Zeit bangen lassen. Andererseits ist es ein merkwürdiges Bild, die mittlerweile über 50% bedeckte Sonne durch den wabernden Schleier der Wolken wandern zu sehen. Auch bei zunehmender Mondbedeckung scheint die Sonne noch so hell wie immer zu strahlen, doch die Umgebung verändert sich: Es wird kühler, Wind kommt auf, das kräftige Gelb und Grün der Felder und Wiesen wird fahl. Die Kühe auf der angrenzenden Weide werden unruhig.

Die Spannung steigt, der Blick wandert zu den Wolken, zur Sonne, zur Uhr: Noch fünfzehn, noch zehn, noch fünf Minuten - die Sonne wird doch nicht im entscheidenden Moment von der dicken Wolke verdeckt werden, die dort heranzieht? Einige Franzosen, die auf dem selben Feldweg gehalten haben, verlieren die Nerven und fahren weiter, auf der Suche nach einem noch besseren Beobachtungspunkt. Wir bleiben und werden belohnt: Unmittelbar vor Eintritt der Finsternis zeichnet sich ab, dass die dicke Wolke die Sonne verfehlen wird.

Matthias beobachtet die Totalität

Um 12.20 Uhr ist durch die Brille nur noch eine schmale Sichel zu sehen, dann geht plötzlich alles ganz schnell: Binnen zehn Sekunden wird es dunkel, für einen Augenblick blitzt am Rand noch ein gleißender Lichtpunkt auf, erzeugt den Diamantring-Effekt, dann wird die Sonnenkorona als leuchtender Strahlenkranz um die schwarze Scheibe sichtbar. Wenn man genau hinsieht, erkennt man darin rote Unregelmäßigkeiten: Protuberanzen, riesige Gasfontänen, die aus der Sonnenoberfläche hervorbrechen. Der Himmel ist tiefdunkelblau, fast nachtschwarz, die hellsten Sterne und Planeten sind sichtbar. Nahe bei der schwarzen Sonne sehen wir Merkur, der normalerweise immer von ihrem Glanz überstrahlt wird. Der Horizont ist ein schwach rot-orangenes Band, aufgehellt vom gestreuten Licht der nicht verfinsterten Landstriche. Es ist so still, dass man unwillkürlich nur noch im Flüsterton spricht. Eine sonderbar unwirkliche Stimmung, feierlich und bedrohlich zugleich.

Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen, dann bricht der erste blendende Lichtstrahl hinter dem Mond hervor, und in wenigen Sekunden wird es wieder taghell - fast wie im Kino: Ein "Special Effect" kosmischer Dimension.

© 1999 Matthias Book